Wissen

Tipp der Woche: 10 Wochen im Rückblick

Rechtschreibfehler oder Schreibvarianten? Oder nur eine stilistische Variante? Wir klären wöchentlich einen Zweifelsfall auf. – Sie haben eine Frage zur Orthografie? Schreiben Sie uns, gern mit Fotobeleg der Auffälligkeit, an info@correctura.com.

KW 31/2022

Borschtsch: Immaterielles Kulturerbe der UNESCO

Borschtsch als Briefmarkenblock der Ukraine (2005)Das Gericht mit der auffälligen Schreibung und Lautung hat es in sich. Da wäre zum einen das Übergewicht an Konsonanten, das ein markantes Verhältnis von 9:1 aufweist. Dann wäre da der traditionelle Status der Speise in mehreren Ländern, die im Terminus Borschtsch-Gürtel ihren Ausdruck findet. Die Suppe mit Roter Bete, Weißkohl und Rindfleisch wird in Polen, Rumänien, der Ukraine, Belarus und bis nach Russland hinein (bis zu den Flüssen Don und Wolga) zu Familien- und anderen geselligen Zusammenkünften serviert. Ferner wird das Essen sowohl heiß als auch kalt genossen (kalt allerdings mit anderen Zutaten). Was aber das Gericht im Juli 2022 zu einem ganz besonderen gemacht hat, ist seine Aufnahme als dringend erhaltungsbedürftiges Immaterielles Kulturerbe seitens der UNESCO. Angesichts des kriegerischen Überfalls Russlands auf die Ukraine war dies ein großer Erfolg für die Ukraine, denn festgeschrieben wurde die ukrainische Form der Borschtsch-Zubereitung, nicht die russische. Gemäß Duden geht das Wort zurück auf russ. boršč, das ›Bärenklau‹ bedeutet – eine Pflanze, mit der früher Suppen zubereitet wurden; heute enthält Borschtsch – im Gegensatz zu früher – keinen Bärenklau mehr. Bereits 2005 gab es einen zweiteiligen Briefmarkenblock mit der unverwechselbaren Speise, der sowohl die rohen Zutaten als auch das servierfertige Ergebnis zeigt. Guten Appetit! (01. August 2022; Bild: Ukrainische Post)

KW 30/2022

Nur widerwärtig

GedeckEine solche massive Kritik hört sicherlich niemand gern, gemeint ist aber bei dieser zweideutigen Überschrift, wie die ›einzige Schreibweise‹ des Wortes ist. Und diese mag verwundern. Denn aus dem althochdeutschen widarwartī̅g wurde im Mittelhochdeutschen widerwertec, das auf das Adverb widerwert zurückgeht. Das Wort bedeutete schon im Mittelhochdt. ›unangenehm, abstoßend‹ und gehört vermutlich in die Gruppe von Wörtern wie vorwärts oder gegenwärtig auf -wärts bzw. -wärtig. Dabei wäre eine Bildung wider + -wertig durchaus denkbar, die die Bedeutung ›gegen‹ + ›einen Wert habend‹ hätte. Dennoch ist diese Schreibung nicht zugelassen. Wer sich der Schreibung nicht sicher ist, kann auf widerlich zurückgreifen oder die Kritik runterschlucken. Ein Essen etwa ist ja selten tatsächlich widerwärtig, sondern eher nicht allzu köstlich. Wenn es aber doch so schlimm ist, kann man ein nicht ganz so übel klingendes Wort wählen (unschmackhaft, ungenießbar) oder alternativ zu einem Euphemismus greifen (hat Potenzial). (25. Juli 2022; Foto: congerdesign)

KW 29/2022

Der Genitiv ist dem Dativ nicht sein Tod, aber …

tagesschau-Ticker: wegen + DativWer kennt den Spruch nicht? Und das, wo doch der Genitiv alles andere als »so gut wie tot« ist. Man denke etwa an Attribute wie Tor des Monats. Aber eines ist korrekt: In Verbindung mit der Präposition wegen wird er in der gesprochenen Sprache selbst in Schulen bereits nicht mehr ›korrigiert‹. Ungewöhnlich ist allerdings noch, dass sich der Dativ in die Schriftsprache mischt. Wenn dies dann auch noch in öffentlich-rechtlichen Medien, die als Vorbild gesehen werden, geschieht, ist das (noch) eine kleine Sensation. Glauben Sie nicht? Nebenstehend ein Beleg. Aber ist das denn überhaupt ein Fehler? Nein, so eindeutig schon nicht mehr. Aktuell weist etwa der Duden »Umgangssprachlich auch mit Dativ« auf die Verwendung hin. Allerdings dürfte in den kommenden Jahrzehnten die Einträge in den Wörterbüchern geändert werden zu »mit Genitiv, auch Dativ«. Zurzeit ist es aber mindestens noch eine klare Stilfrage. (18. Juli 2022; Screenshot: ARD/Torsten Siever)

KW 28/2022

Schimäre oder Chimäre?

ChimäreRusslands Außenminister Lawrow hat auf Bali an großen Worten nicht gespart: Während Präsident Putin erneut Reservisten einzieht und die Kriegswirtschaft ausgerufen hat – also das Recht, Urlaub zu streichen und sämtliche Industrie Tag und Nacht zur Herstellung militärischer Ausrüstung zwingen kann –, verkündet sein Minister beim G20-Gipfel, die russische Armee habe noch gar nicht angefangen. Und folgte damit dem Oberbefehlshaber: »Jeder sollte wissen, dass wir im Großen und Ganzen noch nicht richtig losgelegt haben«, sagte Putin am Donnerstag vor hochrangigen Abgeordneten (tagesschau.de). CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter kommentierte dies mit den Worten, Russland baue eine »Chimäre« auf. Ob biologisch gemeint oder im Sinne von ›Trugbild, Hirngespinst‹. Diese Bedeutung geht auf ein phantastisches Ungeheuer der griechischen Mythologie zurück, von griechisch chímaira bzw. lateinisch chimaera (eigentlich ›Ziege‹). Ob mit oder ohne S geschrieben: Beides ist korrekt. Ob Ex-Präsident Medwedew korrekt liegt, wenn er schreibt: »Mit Russland wird [wg. des Krieges, Red.] nun ernsthaft gerechnet«, muss jeder für selbst berechnen. (11. Juli 2022; Foto: Dean Moriarty)

KW 27/2022

Melnyks Sprache

Andreij Melnyk mit Kritik an defätistischen RatschlägenDer ukrainische Botschafter Andrij Melnyk fällt des Öfteren mit seinen Tweets und andersortigen Äußerungen auf. Nach dem zweiten Anlauf via offenen Brief einiger deutscher Prominenter – in seinen Augen »pseudo-intellektuelle Versager« – sprach er von »defätistischen Ratschlägen«. Da stellt sich nicht nur die Frage, ob er mit seiner Kritik Recht hat (schließlich hatte das bereits Alice Schwarzer geschrieben), sondern auch, ob das Wort richtig geschrieben ist. Und ja, Melnyk beherrscht nicht nur die Diplomatie (von »Leberwurst« einmal abgesehen), sondern auch die deutsche Orthografie (in der Schweiz auch Defaitismus). Und nicht nur das: Die Wahl passt genial! Das Wort Defätismus kam nämlich im 1. Weltkrieg auf und bezeichnete im Französischen (défaitisme) ›1. die Überzeugung, im Kriege eine Niederlage zu erleiden; 2. das Eintreten für die Beendigung aller Kampfhandlungen‹. Das davon abgeleitete Adjektiv bedeutet natürlich ›den Defätismus vertretend‹ und darüber hinaus allgemeiner ›mutlos, schwarzseherisch‹ (was gut zu Alice Schwarzer passt). Was Melnyk aber vermutlich nicht wusste: Das Wort ist eine Kreation des russischen Publizisten Grigory Aleksinskij (1915) (Kluge, Etym. Wörterbuch). (04. Juli 2022; Screenshot: Torsten Siever)

KW 26/2022

Konvoi

Wagen von PionierenDas Wort Konvoi wirkt nicht wirklich korrekt geschrieben, ist es aber. Und es wirkt und ist auch nicht nativ, also entlehnt, und auch das ist korrekt. Es wurde von französisch convoi übernommen, das wiederum vom Verb convoyer »begleiten, geleiten« abgeleitet ist – darum ja auch das synonyme Geleit, das aktuell bei Schiffen im Schwarzen Meer praktiziert wird. Die Schreibung wurde also ans Deutsche angepasst – das C wurde zum K (die Schreibung Convoi ist unzulässig). Ganz anders beim Croissant. Dies kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel der Zeitpunkt der Entlehnung, der Gebrauch des Wortes etc. Und anders als das französische Hörnchen ist Konvoi bereits im 15. Jahrhundert entlehnt worden und damit ein sehr altes Wort aus einer Fremdsprache. Und wer es ganz genau wissen möchte: Die französische Sprachgemeinschaft hat das Wort aus dem Lateinischen entlehnt, von conviare. Entdecken Sie, welches Wort enthalten ist? Falls nicht: via ›Weg‹ und con ›mit‹. (27. Juni 2022; Foto: Amy Hyde)

KW 25/2022

Potz Blitz! Potztausend!

Blitz am HimmelPotz Blitz! Potztausend! Potz ist eine Interjektion, die in den veralteten Wendungen »potz Blitz« und »potz Donnerwetter« zu finden ist. Es handelt sich dabei um Ausrufe des Erstaunens, der Verwunderung oder der Verärgerung. Potz ist entstellt aus »Gottes«, im Frühneuhochdeutschen (botz, im Mittelhochdeutschen später pocks) wurde die Interjektion in bestimmten Formulierungen verwendet, die sich auf das Leiden Jesu Christi beziehen. Korrekt geschrieben wird die Wendung potz Blitz, die ab und zu anzutreffende Zusammenschreibung Potzblitz entspricht nicht der geltenden Orthografie. Im Gegensatz dazu wird potztausend zusammengeschrieben. Dieser ebenfalls veraltete Ausruf der Überraschung bzw. des Unwillens ist vermutlich eine Kürzung aus »potz tausend Teufel« oder aus »Gotts tausend Sakrament«. Der Name Gottes wurde in diesen Ausdrücken entstellt, um nicht Blasphemie zu begehen. Das umgangssprachliche Adjektiv putzmunter für ›sehr munter‹, ›lebhaft‹, ›bester Laune‹ und ›voller Tatendrang‹ geht übrigens vermutlich ebenfalls auf potz zurück – potz Blitz, wer hätte das gedacht! (20. Juni 2022; Foto: ronomore)

KW 24/2022

Antiziganismus

Wörter auf -ismus sind zahlreichDas Wort Antiziganismus ist eines dieser unzähligen -ismus-Wörter, die oftmals nichts Gutes verheißen. Hierbei haben wir es allerdings mit einem doppelten Gegensinn zu tun: Einerseits wird mit griechisch anti- ›gegen‹ ein ›Wider‹ ausgedrückt (Antipathie statt [Sym]pathie, Antikapitalismus statt Kapitalismus etc.); andererseits suggeriert das Wort damit, dass es einen Ziganismus gebe, der wohl aber niemandem bekannt sein dürfte und vor allem bekannt sein sollte. Denn Antiziganismus soll per definitionem eine Geisteshaltung sein, die sich systematisch gegen Zig… – Roma und Sinti wendet. Da wäre es doch tatsächlich fast passiert! Und zwar nicht, weil der Autor entsprechenden Geistes wäre, sondern weil das Wort Antiziganismus exakt den politisch unkorrekten Ausdruck enthält, der mit Antiziganismus verbunden ist: franz. tsigane oder dt. Zigeuner. So ist denn auch schon ein neuer Terminus vorgeschlagen worden (Antiromaismus), doch selbst der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gebraucht das Wort Antiziganismus. Zynismus? Fatalismus? – Nein, eher Pragmatismus. (13. Juni 2022; Bild: Julie Green (Treppe))

KW 23/2022

Grenadiere

Granatapfel (Frucht)Die »Zeitenwende« hat es mit sich gebracht, dann und wann auf Grenadiere zu stoßen. Die alternative Bezeichnung für Infanteristen (nicht Infantristen) klingt alt und ist es auch. Schon im 17. Jahrhundert wurde sie von französisch grenadier entlehnt – also rund 100 Jahre vor der französischen Revolution (1789), die die Zeit der feudalen Ständegesellschaft beendete. Schon zu dieser Zeit waren Soldaten mit einer Handgranate (aus Glas oder Keramik) ausgestattet, die zu ihrem Namen führte. Und wer meint, dass Granate nach Granatapfel klingt, liegt richtig. Tatsächlich fungierte die Frucht mit den gesprenkelten Kernen als Namensgeberin. Eine weibliche Soldatin wird übrigens nicht Grenadine benannt, sondern Grenadierin. Grenadine hingegen ist ein Sirup, der in Bars bzw. Cocktails Anwendung findet. Und klar: natürlich aus Granatäpfeln. Granaten sind übrigens nicht nur Waffen, sondern auch kaum haltbare Torschüsse – eine für den Fußball typische Kriegsmetaphorik (Schuss, Flanke, Abwehr/Verteidigung etc.). (06. Juni 2022; Foto: Fruchthandel_Magazin)

KW 22/2022

Bar oder bar?

Drei Gläser gefüllt mit Geldmünzen»In der Bar kann man in bar bezahlen.« Die Bar ist ein hoher Schanktisch mit Barhockern, aber auch das Lokal, in dem sich solche Schanktische befinden. Das Wort wurde aus dem Englischen entlehnt, geht aber ursprünglich auf das altfranzösische Wort barre zurück. Damit bezeichnete man die Schranke, die den Gastraum vom Schankraum trennt. Das Adjektiv bar besteht zwar aus derselben Buchstabenfolge, es hat jedoch von der Wortgeschichte her gar nichts mit der Bar zu tun. Im Althochdeutschen bedeutete bar so viel wie ›nackt‹ und ›frei von‹, seit mittelhochdeutscher Zeit in Bezug auf Geldmünzen auch ›sofort verfügbar‹. Wer also nicht mit einer EC-Karte, Kreditkarte, mit TWINT oder sonst in irgendeiner Form bargeldlos bezahlt, bezahlt bar oder auch in bar, aber nicht in Bar. Um nochmals auf das Substantiv [die] Bar zurückzukommen: Es gibt darüber hinaus auch das Substantiv [das] Bar. Es handelt sich dabei um eine alte Maßeinheit des (Luft-)Drucks; das Wort geht auf das griechische Wort báros zurück, das ›Schwere‹ bzw. ›Gewicht‹ bedeutet. Wer also wieder einmal Teekesselchen spielen möchte, hat hier ein schönes, nicht leicht zu erratendes Beispiel. (30. Mai 2022; Foto: WFranz)

KW 21/2022

Ist gebongt, oder?

alte RegistrierkasseDie Frage ist zweideutig, aber mit der Kursive wird sie eindeutig. Gemeint ist hier natürlich, ob die Schreibung korrekt ist. Und ja, sie ist es. Aber wirklich richtig sieht das Wort nicht aus, oder? Woran das liegt, ist einfach. Zum einen schreiben wir selten die Floskel ist gebongt – eher nur in digitalen Mitteilungen, denn es handelt sich um eine umgangssprachliche Wendung. Zum anderen handelt es sich um ein recht betagtes Wort nicht nur, weil bongen wohl auch eher an der Kasse mündlich geäußert wird (und hier eher einbongen), sondern auch deshalb, weil der Vorgang heute nicht mehr ganz zutrifft. Früher tippte man zwar tatsächlich die zu zahlenden Beträge ein und dies wurde auf dem Bon vermerkt, heute aber wird an der Kasse doch eher ein Artikel eingescannt. Aber muss es dann nicht gebont und bonen geschrieben werden? Nein, aber tatsächlich führt das (schon recht alte) Große Wörterbuch der deutschen Sprache noch bonen auf. Wer sich in Österreich aufhält, ist fein raus: Dort heißt es bonieren – und hier hat ein g keine Chance. (23. Mai 2022; Foto: Viviane Monconduit)

++

Noch mehr Tipps?

Sie finden die deutsche Rechtschreibung so spannend? Prima, wir auch. Weitere Tipps der Woche finden Sie im Archiv.