48/2019

Ideologie oder Idiologie?

Logik und Kreativität im HirnDer alte Mann in Peter Bichsels Kurzgeschichte »Ein Tisch ist ein Tisch« hat keinen Namen, dafür eine aus der Alltäglichkeit erwachsene Form von Idiolalie – eine eigen(artig)e Sprache, die nur er verstehen kann, denn dem Bett sagte er eines Tages nicht mehr »Bett«, sondern »Bild«, dem Tisch »Teppich« und so weiter. Das erste Wortbildungselement idio- bedeutet ›eigen-(artig) oder sonder-(bar)‹ und würde damit eine vorzügliche Eselsbrücke für Ideologie abgeben, wenn dieses Wort nicht korrekt mit e zu schreiben wäre. Die nicht tragfähige Brücke ist aber nicht tragisch, denn das zum Verwechseln ähnliche ideo- bedeutet ›Idee, Begriff, Vorstellung‹ und liefert damit selbst auch eine schöne Brücke (ide[o] wie Idee), denn eine Ideologie umfasst eine ganze Menge Ideen und Vorstellungen/Begrifflichkeiten – wenn auch nicht die besten. Beide Konfixe sind übrigens seltene Instrumente: Am bekanntesten dürfte der Idiot sein, der etwas oder jemanden als ›eigen(artig) oder sonder(bar)‹ kennzeichnet; weniger bekannt dürfte der linguistische Terminus Idiom ›feste Wortfolge‹ oder das zumindest außerhalb der Schweiz nicht so geläufige Idiotikon sein: das Mundartwörterbuch des Schweizerdeutschen. (25. November 2019; Foto: ElisaRiva)


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