31/2020

Hiatus, der (metamorphosierte)

Sprecher-PauseEinen Hiatus kann man nicht essen, nicht riechen und auch nicht fühlen, wohl aber hören. Zumindest in der Musik, denn ein Hiatus entspricht hier einer »übermäßigen« Sekunde, also etwa von C auf Dis. Auch in der Sprachwissenschaft gibt es den Hiat(us), den man hören und auch wieder nicht hören kann, denn er entsteht üblicherweise beim Zusammentreffen zweier Vokale oder Konsonanten, die die Aussprache erschweren (Ko-ordinate): eine Pause also. In vielen Fällen wird deshalb der Hiat zu umgehen versucht, im Französischen etwa bei *la amie durch lamie, bei *le amis durch les amis. Im Deutschen führen nun einige (etwa Moderatorinnen und Moderatoren) einen Hiat bewusst ein, um eine Grenze zu markieren – und zwar die der Geschlechter. Da man für Freund*innen weder Freundinnen schreiben noch [frɔɪ̯ndɪnɛn] sprechen kann, weil dies (männliche) Freunde ausgrenzen würde, markiert man zunehmend den schriftlichen Stern beim Sprechen mit einer Pause (Freund-innen). Das ist eine beeindruckende Anstrengung entgegen jedem Ökonomiebestreben, allerdings ökonomischer als Freundinnen und Freunde zu äußern. Natürlich gibt es wie immer einen Haken: Der Genderstern wird meist von Screenreadern nicht als Hiat gelesen, sondern als Freund-Sternchen-in oder Freund-Asterisk-in und teilweise sogar ignoriert, sodass man nur die weibliche Form hört (Freundin). Um Barrierefreiheit von Texten gewährleisten zu können, sind deshalb einige auf den Gender-Doppelpunkt umgestiegen: Freund:in. Noch hat der Rat für deutsche Rechtschreibung aber ohnehin keine Freigabe erteilt, womit * und Lautung (noch?) auf tönenden, wollte sagen: tönernen Füßen steht. (27. Juli 2020; Foto: Roché Oosthuizen)


Weitere Tipps der Woche finden Sie beim Sprachwissen.

Tipp

Der Tipp der Woche

Hier klären wir wöchentlich eine Frage zu Rechtschreibfehlern oder Schreibvarianten. – Sie haben eine Frage zur Orthografie? Schreiben Sie uns, gern mit Fotobeleg der Auffälligkeit, an info@correctura.com.