27/2022

Melnyks Sprache

Andreij Melnyk mit Kritik an defätistischen RatschlägenDer ukrainische Botschafter Andrij Melnyk fällt des Öfteren mit seinen Tweets und andersortigen Äußerungen auf. Nach dem zweiten Anlauf via offenen Brief einiger deutscher Prominenter – in seinen Augen »pseudo-intellektuelle Versager« – sprach er von »defätistischen Ratschlägen«. Da stellt sich nicht nur die Frage, ob er mit seiner Kritik Recht hat (schließlich hatte das bereits Alice Schwarzer geschrieben), sondern auch, ob das Wort richtig geschrieben ist. Und ja, Melnyk beherrscht nicht nur die Diplomatie (von »Leberwurst« einmal abgesehen), sondern auch die deutsche Orthografie (in der Schweiz auch Defaitismus). Und nicht nur das: Die Wahl passt genial! Das Wort Defätismus kam nämlich im 1. Weltkrieg auf und bezeichnete im Französischen (défaitisme) ›1. die Überzeugung, im Kriege eine Niederlage zu erleiden; 2. das Eintreten für die Beendigung aller Kampfhandlungen‹. Das davon abgeleitete Adjektiv bedeutet natürlich ›den Defätismus vertretend‹ und darüber hinaus allgemeiner ›mutlos, schwarzseherisch‹ (was gut zu Alice Schwarzer passt). Was Melnyk aber vermutlich nicht wusste: Das Wort ist eine Kreation des russischen Publizisten Grigory Aleksinskij (1915) (Kluge, Etym. Wörterbuch). (04. Juli 2022; Screenshot: Torsten Siever)


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